# PoWi January-07
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## Vergleichende Regierungslehre II: Demokratie und Autokratie
### **[[ Demokratie ]]**
- **Ursprung: demokratía (demos = Volk; kratein = herrschen).**
- **Viele verschiedene Demokratietheorien (Schmidt 2010)**
- [[Normativ|Normative]] Demokratietheorie: Aussagen über Soll-Funktion der Demokratie.
- [[Empirie|Empirische]] Demokratietheorie: Aussagen über Realität und Funktion der Demokratie.
- **"essentiell umstrittenes Konzept" (Collier et al. 2006)
---
### **[[ Autokratie ]]**
- **Ursprung: autokráteia (Selbstherrschaft).**
- **Moderner Gebrauch**:
- Totalitäre Autokratie (C.J. Hayes)
- Autokratie als Heteronomie (Hermann Heller)
- **Aktueller Gebrauch in der [[Vergleichende Politikwissenschaft|Vergleichenden Politikwissenschaft]]**:
- Nicht-Demokratie: Systeme, die demokratischen Standards verfehlen (Tullock, Merkel u.a.)
- **Unterschiede zwischen Autokratien stärker ausgeprägt als Unterschiede zwischen Demokratien
---
### **[[ Kontinuum politischer Regime ]]**
- Regime bewegen sich zwischen totalitären und pluralistischen Systemen (Merkel, 2013).
- [[Kontinuum]] statt [[Dichotomie]]
![[Pasted image 20250115082912.png]]
---
### **[[ Demokratiemodelle]] der [[Vergleichende Politikwissenschaft|vgl. PoWi]]**
- **Minimalistische Definition**: Demokratie als Methode der Führungsauswahl und politischer Wettbewerb (elektorales Verständnis)
- **Definition mittlerer Reichweite**: Rechtsstaatliche Demokratie/ Verfassungsstaat (eingebettete Demokratie)
- Minimalistische und mittlere Konzepte beschränken auf Normen, Prinzipen und Verfahren des demokratischen Entscheidungsprozesses
- **Maximalistische Definition**: Einbeziehung von Output als integralen Bestandteil (soziale Demokratie)
![[Pasted image 20250115161209.png]]
- **[[Polyarchie]] (Robert Dahl):**
- Mittelpunkt "public contestation and the right to participate" (1973)
- Institutionelle Minima der Polyarchie (Robert Dahl):**
1. Organisationsfreiheit.
2. Recht auf freie Meinungsäußerung.
3. Aktives Wahlrecht.
4. Passives Wahlrecht.
5. Recht zur Wahlwerbung.
6. Informationsfreiheit.
7. Freie und faire Wahlen.
8. Institutionen, die Regierungspolitik an die Präferenzen der Bürger binden.
- **[[Eingebettete Demokratie]] (Merkel):**
- Intern: Funktionale Verschränkung der 5 Teilregime sichert Bestand.
- Extern: Schutz vor Schocks durch Rahmenbedingungen wie Zivilgesellschaft und Wirtschaft (Merkel 2003).
---
![[Pasted image 20250115162011.png]]
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- **Defekte Demokratien:**
- Besitzen gewisse Grundregeln, die verletzt werden
- erfüllen nicht alle Bedingungen [[Eingebettete Demokratie]], Defekte Unterschiedlich:
- Exklusive Demokratie: Eingeschränktes Wahlrecht (z. B. Schweiz bis 1971).
- Illiberale Demokratie: Begrenzte Freiheitsrechte (z. B. Türkei bis 2018).
- Delegative Demokratie: Fehlende Gewaltenteilung/ Rechtstaatlichkeit eingeschränkt (z. B. Ungarn seit 2008).
- Enklavendemokratie: Externe Machtzentren wie Militär (z. B. Chile bis 2005).
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### **[[ Autokratiekonzepte und -typologien ]]**
- **Totalitarismus (Giovanni Amendola 1923):**
- Moderne Form der [[Diktatur]]
- Notwendige Vorraussetzungen der Industriellen Rev., technologischen Neuerungen und Klassenkonflikte
- [[H. Arendt]]: Politische Herrschaft, die die uneingeschränkte Verfügung über die
Beherrschten und ihre völlige Unterwerfung unter ein (diktatorisch vorgegebenes)
politisches Ziel verlangt
- **Autoritarismus, als eigene Regimekategorie (Juan Linz 1975):**
- „Autoritarismus schränkt Freiheit ein, Totalitarismus schafft sie ab“ (Reminde: [[Kontinuum]])
- **Acht Typen nicht-demokratischer Herrschaft (Merkel):**
1. Kommunistische Regime: [[Autoritarismus|A]] und [[Totalitarismus|T]] (UDSSR)
2. Faschistische Regime: [[Autoritarismus|A]] und [[Totalitarismus|T]] (DE 1933-45)
3. Theokratische Regime: [[Autoritarismus|A]] und [[Totalitarismus|T]] (Iran)
4. Rassistische Regime: [[Autoritarismus|A]] (SA 1948-94)
5. Militärregime: [[Autoritarismus|A]] (SP 1939-75)
6. Modernisierungsregime:[[Autoritarismus|A]] (TR 1920-38)
- Militär/ Führer/ Ein-Parteiregime
- Nachfrage sozioökonomischem Fortschritt
- Bei fehlender traditionellen Herrschaftsstrukturen (post-kolonial)/ verspätete Nationenbildung
7. Dynastische Regime: [[Autoritarismus|A]] (QT)
8. Sultanistische Regime: [[Autoritarismus|A]] weniger erratisch als 7.
- **Vier Typen autoritärer Regime (Geddes et al.):**
1. Monarchien (SAU).
2. Militärregime (TH).
3. Parteienregime (CN).
4. Personen-gebundene Autokratien (NK)
---
### Demokratie-Typen
- **Parlamentarische Systeme (DE):**
- Repräsentanten handeln im Interessen aller
- Delegation von Bürgern schafft relativ einfache Delegationskette
- Regierung von Mehrheit im Parlament abhängig
- Politikgestaltung im Parlament
- Aufgaben des Parlaments als entscheidende Institution politischem Entscheidungsprozess
- Debatten und Diskussion konkurrierender Policies.
- Gesetzesinitiativen, insbesondere in Ausschüssen.
- Regierungskontrolle: Kabinett verantwortlich gegenüber Parlament.
- Bereitstellung möglicher Kabinettsmitglieder:
- Durchschnittlich 75 % der Kabinettsmitglieder waren zuvor Abgeordnete.
- Regierung stützende Partei hält (fast immer) Regierungslinie ein
- Regierungsbildung:
- absolute Mandatsmehrheit: Partei bildet Regierung
- Koalitionsregierungen: Regierungsbildung beauftragt von Staatsoberhaupt:
- Proportionale Verteilung von Kabinetts-Ämtern auf Koalitionsparteien.
- Policy-Kompromisse werden in Koalitionsabkommen festgelegt.
- **Präsidentielle Systeme (USA):**
- Regierungsbildung:
- Regierungschef direkt oder indirekt gewählt
- Präsident nominiert Kabinettsmitglieder: Müssen häufig vom Parlament (oder Kammer hiervon) bestätigt werden (z. B. Senat in den USA).
- Parteipolitische Zusammensetzung:
- Regierung reflektiert nicht zwingend die parlamentarische Mehrheit, die allerdings für Politikgestaltung notwendig bleibt.
- Geringerer Grad an Parteidisziplin
- Symbolische Ernennung von Oppositionellen ins Kabinett möglich (z. B. MOD Robert Gates in den USA).
- Aufgaben Präsident:
- zentrale exekutive Führungskraft als (informeller) Vorsitzender seiner Partei
- setzt politische Agenda
- Integrationsfigur/ Repräsentation des Staates
- **Vergleich Präsidentielle vs. Paralamentarische Systeme**
![[Pasted image 20250116072531.png]]
- **Semi-präsidentielle Systeme**
- Umstrittenes Konzept, Ausprägungen variieren stark
- Doppelspitze: direkte gewählter Präsident sowie Regierungschef
- Präsident mit weitreichenden Kompetenzen, kein Misstrauensvotums-recht des Parlaments
- Kompetenzen variieren stark nach Verfassung
---
### Tabelle: Autokratie und Demokratie (Merkel, 2013)
| | Autokratie - Totalitär | Autokratie - Autoritär | Defekte Demokratie | Eingebettete Demokratie |
| --------------------------- | ---------------------- | ---------------------- | --------------------------------------------------------------------------------------- | --------------------------------------- |
| **Herrschaftslegitimation** | Weltanschauung | Mentalitäten | Volkssouveränität | Volkssouveränität |
| **Zugang** | Geschlossen | Beschränkt | Offen | Offen |
| **Anspruch** | Unbegrenzt ("total") | Umfangreich | Begrenzt (definierte, verletzte Grenzen) **Illiberale Demokratie** | Begrenzt (garantierte Grenzen) |
| **Monopol** | Führer/Partei | Führer/"Oligarchie" | Durch Verfassung legitimiert, eingeschränkt durch Vetomächte **[[Enklavendemokratie]]** | Durch Wahlen und Verfassung legitimiert |
| **Struktur** | Monistisch | Semi-pluralistisch | Pluralistisch | Pluralistisch |
| **Weise** | Terror | Repression | Eingeschränkt rechtsstaatlich **Delegative Demokratie** | Rechtsstaatlich |
---
### **[[ Empirische Eindrücke ]]**
- **Demokratieindex und Trends:**
- Zunahme autokratischer Tendenzen weltweit.
- Abnahme demokratischer Standards (V-Dem-Bericht 2021).
![[Pasted image 20250114145120.png]]
- **Politische Performanz:**
- Demokratien schneiden besser ab bei Umwelt-, Sozialpolitik und Bürgerrechten.
![[Pasted image 20250114145528.png]]
- Einschränkungen durch defekte Demokratien.
-
### **[[ Warum Demokratie? (nach Manfred G. Schmidt) ]]**
- **Vorteile:**
- Verfassungspolitisch: Legitimation, Gleichheit, Freiheit.
- Prozesspolitisch: Lernfähigkeit, Machtwechsel. Verarbeitung von Präferenzen (Wahlen)
- Ergebnisbezogen: Friedliche Außenpolitik, soziale Gerechtigkeit.
- **Schwächen:**
- Fehlbare Willensbildung, Kurzfristplanung.
- Kommerzialisierung der Politik.
- **Demokratie und Performanz:**
- „Reiche“ Demokratien liefern bessere Ergebnisse.
- Demokratische Innovationen:
1. Deliberative Mini-Öffentlichkeiten.
2. Beteiligungshaushalte.
3. Referenda.
4. Kollaborative Governance.
- **Typische Stärken von Demokratien:**
- Verfassungspolitische Vorteile:
- Legitimation kollektiver Entscheidungen.
- Sicherung von Gleichheit und Freiheit.
- Berechenbare Politik.
- Frühwarnsysteme bei Krisen.
- Prozesspolitische Vorteile:
- Lernfähigkeit und friedliche Herrschaftswechsel.
- Effektive Präferenzverarbeitung.
- Machtwechsel Chance durch demokratische Verfahren.
- Ergebnisbezogene Vorteile:
- Umwandlung von Opposition in Konstruktion.
- Friedlichere Außenpolitik.
- Verbesserte soziale Gleichheit und geringere Einkommensungleichheit.
- **Typische Schwächen von Demokratien:**
- Verfassungspolitische Schwächen:
- Abstrakte Gleichheit ohne Berücksichtigung von Qualifikation.
- Spannungen zwischen nationaler Demokratie und Expertokratie.
- Prozesspolitische Schwächen:
- Volkswille ist manipulierbar.
- Kommerzialisierung der Politik (Wählbarkeit über Führungsstärke) ^r1
- Ergebnisbezogene Schwächen:
- Fokus auf Gegenwarts- statt Zukunftsorientierung.
- Problematische Langfristplanung.
- Machterwerb/ erhalt vorrangig vor Problemlösung
- **Politikfelder, in denen Demokratien besser abschneiden (Lijphart 1999/2012)**
- Umweltpolitik
- Sozialpolitik
- Demokratischer Friede
- Bürgerrechte und Freiheitsrechte
- Rechtsstaatlichkeit
- Einkommensungleichheit
- Human Development Index (menschliche Entwicklung)
- **Intra- Intergruppenunterschiede**
- Aufgrund Qualität der Demokratie
- Wohlhabende Demokratien liefern beste Politikperformanz
- Arme Demokratien bessere als arme Autokratien
- Wohlhabende Autokratien bessere als ärmsten Demokratien
- Lernfähigkeit von Demokratien
- Deliberative Mini-Öffentlichkeiten
- Beteiligungshaushalte
- Referenda und Bürgerinitiativen
- Kollaborative Governance
- Ermüdungseffekte bei Demokratien
>[!quote] Winston S Churchill
>„Many forms of Government have been tried, and will be tried in this world of sin and woe. No one pretends that democracy is perfect or all-wise. Indeed it has been said that democracy is the worst form of Government except for all those other forms that have been tried from time to time.…"
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### **[[ Literatur ]]**
1. **Baumgartner & Jones (1993/2009):** Agendas and Instability in American Politics.
2. **Knill & Tosun (2010, 2012):** Public Policy: A New Introduction.
3. **Dahl (1971):** Polyarchy: Participation and Opposition.
4. **Lijphart (2012):** Patterns of Democracy.
5. **Merkel (2013):** Vergleich politischer Systeme.
6. **Elstub & Escobar (2019):** Democratic Innovations.
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## Questions
[[#^r1]] Ist das Führungspersonal in anderen Systemen qualitativer? Falls nicht, kann man es dann als schwäche bezeichnen, wenn ein System relativ zu Anderen das Beste ist
## Summary